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Im Auftrag eines Verfolgten


Im Auftrag eines Verfolgten


Im ehemaligen mexikanischen Nobel-Badeort Acapulco herrschen die Gesetze der Drogenmafias. Dorthin ist Bernie Hofrege, der Detektiv und ehemalige V-Mann des BND, dem weltmännisch auftretenden Doktor Peter Kornfeld gefolgt. Diesen macht Hofrege für einen auf ihn gezielten Attentatsversuch verantwortlich. Bald gerät der Detektiv selbst in den Strudel der mexikanischen Mafia-Kartelle. Um am Leben zu bleiben, muss er auf die Hilfe des von ihm verfolgten Kornfeld zurückgreifen ...

„Der Roman ist ungemein spannend und überrascht den Leser immer wieder mit neuen Entwicklungen. Das Ende ist nie absehbar. Man will immer wissen, wie es weitergeht. Ich bin überzeugt davon, dass der Roman das Milieu der Drogenmafias mit seiner extremen Brutalität treffend beschreibt."

Alexander Mörike



Leseprobe

Im Auftrag eines Verfolgten
Eine ganze Weile sitz ich bereits nutzlos vor meinem Schreibtisch, starre überall und nirgendwo hin, verspüre Lust auf nichts! Nicht mal auf Kaffee. Der Bildschirm ist noch immer dunkel. Ich will ihn nicht anknipsen. Schon so, wie er mich anglotzt, geht er mir auf die Nerven. Richtig schlaff häng ich in meinem Sessel. Angeblich soll das ja gesund sein., sich auf diese Weise zu entspannen! Aber das greift bei mir nicht. Jedenfalls nicht jetzt. Dieser Nagerich in meinem verdammten Gehirn versucht mich ständig zu maßregeln. Und er hört nicht auf damit, auch wenn ich ihm immer wieder eins drüberbrate. Leck mich!, flüstere ich ihm nochmals zu. Recht laut diesmal, damit er’s auch hört. Aber er verstummt nicht. Langsam lockert sich meine Bockigkeit. Ich weiß ja, dass er nicht aufgibt. Er setzt meistens genau da an, wo ich versuche, mir was vorzumachen. Nur bin ich noch weit davon entfernt, es zuzugeben. Immerhin hör ich ihm jetzt zu. Warum ich ihn weggeschickt habe, ohne überhaupt Notizen gemacht zu haben? Ja, warum wohl? Weil er wollte, dass ich seinen Vater ausforsche. Wie soll das denn funktionieren? In kriminelle Handlungen soll er verwickelt sein und der Sohnemann hat Probleme damit. Kann ja sein, dass er recht hat. Aber was soll ich dabei? Und wenn ich was rausfinde, was fang ich damit an? Es ihm übergeben, damit er seinen Paps erpresst? Umbringen lassen wird der ihn, wenn er wirklich so kriminell ist und wenn er merkt, dass er ihn bespitzelt hat. Und wer bezahlt mich dann? Sechzehn, höchstens siebzehn geb ich ihm. Älter nicht! Kann ja sein, dass er nur wissen will, was der Vater so treibt; wissen will, ob er sich vielleicht doch verhört hat, als er ihn beim Telefonieren belauschte. Allerdings mehrfach, wie er sagte. Aber auch wenn er sorgsam mit meinen Infos umgeht, wie will er meine Spesen begleichen? Mit seinem Taschengeld, gespeist aus gestohlenem Zaster? War schon richtig, ihn vor die Tür zu setzen. Und überhaupt, seinen Namen hab ich kaum noch im Kopf. Kormann oder Korfland oder so ähnlich. Jürgen, glaub ich, sein Vorname. Mauerkirchenerstraße. Na, rausfinden würdest du’s sicher, wenn du nur wolltest. Willst aber nicht! Nur, vielleicht hat er ja Probleme, sieht seine Mutter unter einer Decke mit Papa, braucht eben jemanden außerhalb der Familie, der seinem Verdacht nachgeht. Wenn was rauskäme, setzt er sich womöglich von ihr ab, was in dem Fall ja nicht falsch wäre. Er muss sie ja nicht gleich anzeigen oder damit konfrontieren, dass er Bescheid weiß. Aber bin ich denn der Richtige und Einzige, an den er sich wenden kann? Vergiss das Ganze! Du hast genug um die Ohren. Halt dich nicht mit Kleinkram auf! Ich nicke in mich hinein, gähne das Fenster an, stehe auf und schiebe den Store zur Seite. Genau dieses Wetter mag ich nicht. Schnell dahin ziehende Wolken, mal ein Guss, dann wieder Pause und das bei fünf Grad. Föhn soll kommen und Tauwetter in den Bergen, sagen sie im Fernsehen. Ist sicher das Beste, du arbeitest alten Mist auf. Ich schiele auf den Ablagekorb, aus dem ein Packen Papiere schnabelt. Setze mich wieder hin. Und prompt meldet sich der Nagerich. Ich ignoriere ihn, hole mir den Mahnbrief einer Versicherung hervor. Meine Kündigung sei um zwei Tage zu spät eingegangen. Ein ganzer Jahresbeitrag wäre damit fällig. Ich schiebe den Brief zur Seite. Würde mich wundern, wenn du nicht doch noch mal versuchtest, mit ihm zu reden. Jetzt wird er wie üblich immer konkreter. Wird er nie locker lassen? Nie! Ich angle aus der Schrankwand hinter mir das Telefonbuch. Es dauert nicht lange, bis ich ihn ausfindig mache. Kornfeld, Peter, Dr. jur. und Dipl.-Kfm. Wirtschaftsmediator. Tel. 4466026, Mauerkirchenerstraße 48. Beste Gegend in München. Soll ich oder soll ich nicht, frag ich mich, als ich den Hörer schon in der Hand halte. Meine Nummern erscheinen auf keinem Display. Trotzdem könnte man rauskriegen, wo der Anruf herkam, genauso wie der von meinem Handy, obwohl ich die Nummer wöchentlich, wenn ich einen schwierigen Fall bearbeite, sogar täglich, wechsle. Weiß ja nicht, ob er ein hohes Tier in der noblen Gesellschaft mit besten Verbindungen ist und ständig kontrolliert, ob er überwacht wird. Wollte eigentlich nach dem Sohnemann fragen, vorgeblich für eine Marketing-Umfrage bei Menschen unter achtzehn. Aber meine Bedenken siegen schließlich. Lass es sein!, sage ich strikt. Ich lege wieder auf und der Nagerich hält sogar die Klappe. Morgen früh will ich den jungen Kornfeld abfangen, wenn er zur Schule muss, wie immer er dort hinkommt, zu Fuß, per Fahrrad oder Moped. Ich mache mich wieder am Ablagekorb zu schaffen. Vorher tippe ich einen Kompromissvorschlag an die E-Mail-Service-Adresse der Versicherung. Zahle zwei Monate extra. Mein letztes Wort! Clarissa, eine meiner beiden Assistentinnen, hat sich die letzten zwei Stunden nicht sehen lassen. Mir fällt nämlich ein, dass ich jetzt doch gerne einen Kaffee hätte. Carla – mit C, weil sie in Chile geboren wurde – hat heute Nachmittag frei. Beide Assistentinnen sind hübsch, Ende zwanzig. Clarissa hat langes blondes Haar und dazu auch lange Beine. Carla ist brünett mit bubenhaftem Haarschnitt. Zur Größe von Clarissa fehlen ihr zehn Zentimeter. Beide sind – wie man heute so schön sagt – recht emanzipiert, was sich oft sehr schnodderig anhört. Sie halten nicht viel von Männern, was natürlich auch an der Kundschaft meiner Detektei liegen kann, sind aber selbst angeblich in guten Händen. Wahrscheinlich sind das sehr lenkbare Männer, was mir nur recht ist; denn sie reklamieren nie, wenn es bei uns später wird. Und das ist oft so, wenn wir einen saftigen Braten am Schmoren haben. Die beiden Damen spielen dann problemlos mit. Wenn Sie mir zu vorwitzig und zu kess kommen, wird mein Ton schon mal vokaler. Aber da übertreib ich nicht. Immerhin ist es wichtig, dass sie mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, auch wenn sie hier so einiges mitkriegen, was nicht gerade den Glauben an die Menschheit stärkt. Und das ist in unserem Metier Vorbedingung. Ich selbst heiße Bernie Hofrege, bin zweiundfünfzig Jahre alt und immer noch ledig. Alles zu meiner Karriere erzähl ich später, so nach und nach. Nur so viel für den Moment: Vor viereinhalb Jahren habe ich die Kosmos, meine Detektei, hier in München, Ismaningerstraße, gegründet. Dass wir nur dicke Fälle übernehmen, hängt mit meinen Verbindungen aus früheren Zeiten zusammen. Da gab es einfach keine kleinen Fische und viele Behörden sind noch heute recht froh, dass es mich gibt, weil ich oft helfen kann. Natürlich sind unsere Fälle auch recht einträglich, wenngleich es am Ende auch schon einige Reinfälle gab; vor allem dann, wenn sich ehemalige Streithälse plötzlich einigten. Da das solchen Kunden meist mehr kostete als mein vereinbartes Honorar, kam ich auf die Liste der Einsparungen. Das Geld einzuklagen hätte nur meine Gesundheit gefährdet. Ich arbeite hier in einem modern ausgerüsteten Büro mit meinen beiden Assistentinnen und habe etwa vierzig handverlesene Agenten, mit denen ich je nach Fall Zeit- und Erfolgs-Verträge abschließe. So weit der erste kurze Überblick zu mir, zur Kosmos und zu den Kornfelds und natürlich auch zu meinem Nagerich. * Früher Morgen. Zehn nach sieben! Tief hängende Wolken, aber kein Regen. Ich sitze in meinem Audi etwa fünfzig Meter schräg gegenüber vom Haus der Kornfelds und beobachte, was sich dort tut. Nichts, jedenfalls bislang, außer dass im ersten Stock hinter einem Fenster noch Licht brennt. Vielleicht ist es ja Jürgens Zimmer. Wenn er Jürgen heißt. Ständig muss ich gähnen und tupfe mir dann die Tränen mit einem Kleenex ab. Was im Parterre vor sich geht, kann ich nicht sehen. Kornfeld protzt mit seiner mächtigen, gelblich grau getünchten Villa erst hinter einer Gartenmauer, die recht kunstvoll gestaltet ist. Angedeuteter Renaissance-Stil. Versetzte Quadersteine über die Länge der Front von etwa fünfzig Meter, in kurzen Abständen von Pilastern unterbrochen. In der Mitte der Fläche ist ein breites dunkles Eisentor eingelassen, ohne auffällige Verzierungen, genauso wie das Garagentor am linken Ende, von dem ich nicht weit entfernt bin. Im ersten Stock gibt es sechs Giebelfenster und vom Schieferdach lugen drei Spitzgauben. Jetzt eben erlischt das Licht und es dauert nicht lange, bis sich das zweiflügelige Garagentor von selbst öffnet. Dadurch kann ich auch den Fassadenstuck über den hohen Fenstern mit Oberlicht im Parterre erkennen und eine breite Veranda mit Säulen und Kapitellen. Die breite Tür in der Mitte der Villa öffnet sich und mein abgewiesener minderjähriger Besucher von gestern tritt im feinen dunklen Anzug und einer feschen Aktentasche hervor. Von links läuft ihm ein bulliger Chauffeur mit Schirmmütze entgegen und nimmt ihm die Tasche ab. Ich erinnere mich, dass das anders ablief, als ich in dem Alter zur Schule musste. Den Wagen, zu dem sie gehen, kann ich noch nicht sehen. Was mich aber stutzig macht, ist, dass dreimal ein gedämpfter Türschlag zu hören ist. Vielleicht ist Vater Kornfeld auch eingestiegen, kam möglicherweise aus einer Seitentür des Hauses. Das würde mein Konzept schwieriger gestalten. Als der gestreckte Siebener-BMW aus der Garagenausfahrt fährt, ducke ich mich etwas hinter dem Armaturenbrett, erkenne noch den Chauffeur, sonst aber niemand. Die hinteren Seitenfenster und die Heckscheibe sind abgedunkelt. Ich beschließe, mit gehörigem Abstand, nachzufahren. Vielleicht steigt der Vater – wenn er mit im Fond sitzen sollte – vor seinem Sohnemann aus. Auf jeden Fall will ich herauskriegen, in welche Schule Jürgen geht. Mal sehen, wie ich ihn dann abfangen kann, ohne dass es Chauffeur oder Papa merken. Der BMW fährt recht zügig die Mauerkirchenerstraße entlang. Die Isar daneben sprudelt kaum, fließt aber schnell und düster auf hohem Pegel dahin. In den Bergen hat es in letzter Zeit viel geregnet, in höheren Lagen sogar geschneit. Jetzt im September! Ein Audi der Serie Q kommt mir jetzt dazwischen. Es ist ein bulliger, silbriger Van, der mir die Sicht auf den BMW wegnimmt. Trotzdem schaffe ich die Ampel noch bei Gelb-Rot. Irgendwas passt mir plötzlich bei meinem ganzen morgendlichen Manöver nicht. Was geht mich das alles an? Ich schnüffle, ohne einen Auftrag zu haben und ohne zu wissen, ob ich ihn überhaupt haben will. Hat dich der Junge so beeindruckt, frag ich mich? Überhaupt nicht! Etwas gestriegelt vielleicht, gute Manieren, gefällig im Ausdruck mit einigen Stotterern, wenn ich zu präzis nachfragte. Auf jeden Fall, kein Überflieger! Nur eben dieses Besorgte in seinem Gesicht. Das war’s sicherlich, was mich letztlich weichklopfte und was mich an diesem lausigen Morgen hierher beorderte. Er suchte irgendwo Beistand. Eben bei mir! Warum bei mir? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bin ich jetzt wieder direkt hinter ihm, nachdem der Audi geradeaus fuhr und wir auf die Isarbrücke einbogen. Ich muss jetzt aufschließen, da hier ungleich stärkerer Verkehr herrscht. Am Isartor geht es nach links und weiter zum Sendlinger-Tor-Platz, den wir umrunden und in die lange Lindwurm-Straße einbiegen. Am Goetheplatz fahren wir Richtung Theresienwiese und halten dann in der Haydnstraße vor einem alten aber neu restaurierten Patrizierhaus, in dessen Vorhof an die fünfzig ausschließlich männliche Schüler zwischen 14 und 18 Jahren in Gruppen zusammenstehen. Die Jüngeren sind lässig gekleidet, in teils eingerissenen Jeans und bulligen Jacken, die älteren in korrekten Hosen, Hemd und Jacke. Keiner raucht. Einige stehen abseits und reden auf ihr Handy ein. Jürgen steigt aus, noch bevor ihm der hinzugeeilte Fahrer die Tür öffnen kann. Ich halte am Ende des schmiedeeisernen Zauns, etwa zehn Meter von dem BMW mit der Nummer M-PK 149 entfernt. Nachdem der Fahrer wieder eingestiegen ist, setzt der BMW seine Fahrt fort. Genau in dem Moment, in dem ich aus dem Wagen will, um Jürgen vielleicht ein Zeichen geben zu können, kurz zu mir zu kommen, ihn nochmals in die Detektei zu beordern, stoppt neben mir ein großer dunkler Geländewagen. Toyota LandCruiser schätz ich. Nur dunkle Scheiben. Ich erkenne schemenhaft vorne und hinten zwei Köpfe, die auf mich gerichtet sind